«Als Teenager hatte ich am Gymnasium zum Teil katastrophal schlechte und faule Lehrer gehabt und sagte mir darum: ‹Das kannst du besser!›»

Pensionierung Urs Stähli

Literatur als Passion

Von Marianne Ernst


Seit 1982 hat Urs Stähli an der KME Englisch unterrichtet. Sein über dreissigjähriges Wirken hat die Schule geprägt. Zu seiner Pensionierung hat ihn seine Kollegin Marianne Ernst zu einem Interview getroffen.

Wie bist du mit einer C-Matur (heute: mathematisch-naturwissenschaftliches Profil) zu einem Anglistikstudium gekommen? Welche Nebenfächer hast Du studiert?

Ursprünglich wollte ich in die Fussstapfen meines Vaters treten und Ingenieur werden. Deshalb besuchte ich zuerst zwei Jahre die Sekundarschule und danach viereinhalb Jahre das Gymnasium. Dort entdeckte ich dann die Liebe zu verschiedenen Sprachen und darum reifte bald der Entschluss, zwei davon an der Universität zu studieren und Lehrer zu werden (nicht wegen der langen Ferien…!).

Daneben habe ich noch das Latein nachgeholt und neuere deutsche Literatur, Linguistik und am Schluss – als Vorbereitung für das Gymnasiallehrerdiplom – Erziehungswissenschaften studiert.

«Als Werkstudent arbeitete ich regelmässig neben dem Studium und daher blieb eher wenig Zeit für soziale Kontakte – für eine Freundin reichte es aber allemal noch.»

Was waren die «Highlights» am Englischen Seminar (ES)?

Sicher alle Veranstaltungen zum Thema Literatur, von Shakespeare über Hemingway bis zu den damals neuesten Werken. Sehr gefallen haben mir auch die linguistischen Seminare, in denen Theorie und Praxis verbunden wurden.

Als Werkstudent arbeitete ich regelmässig neben dem Studium und daher blieb eher wenig Zeit für soziale Kontakte – für eine Freundin reichte es aber allemal noch. Damals gab es am ES noch viel weniger Studierende, man kannte sich persönlich und war eine eingeschworene Gemeinschaft. Du erinnerst dich sicher an dieses Ambiente; wir haben ja zusammen dort studiert.

Was hättest du im Studium gerne weiter vertieft?

In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurden am ES vor allem englische und amerikanische Autorinnen und Autoren behandelt. Gerne hätte ich mehr über die englischsprachige Literatur der Diaspora (Südafrika, Indien, Karibik) gehört. Dieses Wissen eignete ich mir dann später durch ausgedehnte Reisen und persönliche Weiterbildung an.

Was war das Thema deiner Lizentiatsarbeit (heute: Masterarbeit)?

Als ich 1979/80 in London studierte, ging ich viel ins Theater und lernte dadurch den jungen Autor Stephen Poliakoff und seine Dramen kennen. Ausser ein paar kürzeren Artikeln und den Theaterkritiken gab es noch keine Literatur über ihn – das Internet gab es ja zu jener Zeit noch nicht! Darum beschloss ich, als grössere Arbeit eine grundlegende Analyse von Poliakoffs Stücken zu schreiben.

Der für mich zuständige Professor war zuerst skeptisch, dann aber einverstanden und zuletzt mit der Arbeit zufrieden. In meiner Dissertation habe ich die Dramen und Drehbücher des inzwischen recht bekannt gewordenen Dramatikers zum Thema «Jugendliche Gewalt» analysiert.

Wie bist du zum Lehrerberuf gekommen? Und wie an die KME?

Meine Eltern glaubten nicht an den positiven Ansporn von Taschengeld. Wenn man als Teenager dann beispielsweise eine junge Dame zu einem Glacé einladen wollte, zahlte damals immer der Gentleman. Deshalb gab ich schon seit der Primarschule Nachhilfe- und Privatstunden, verdiente mir so das nötige Kleingeld und gewöhnte mich über die Jahre ans Unterrichten. Als Teenager hatte ich am Gymnasium zum Teil katastrophal schlechte und faule Lehrer gehabt und sagte mir darum: «Das kannst du besser!»

Im Studium unterrichtete ich auch an einer Sekundarschule und während Jahren an einem «Frauenpodium» mit weiblichen Lernenden im Alter von 20 bis 70 (zu jener Zeit gab’s noch Naturalien und Geschenke für den Lehrer…). Für das Gymnasiallehrerdiplom absolvierte ich ein Praktikum an der damals noch jungen KME, um die Welt der Erwachsenenbildung à fond kennenzulernen. Quasi über Nacht ergab sich dort dann das Angebot einer Stellvertretung, und so habe ich von 1982 bis zu meiner selbst gewählten Frühpensionierung 2018 an der KME unterrichtet.

«Für das Gymnasiallehrerdiplom absolvierte ich ein Praktikum an der damals noch jungen KME, um die Welt der Erwachsenenbildung à fond kennenzulernen.»

Der Unterricht an der KME: Was war für dich das Wichtigste?

Mein Professorentitel! – Nein, im Ernst, Frau Ernst: Ich habe all die Jahre immer sehr gerne Englisch unterrichtet, weil ich das Fach faszinierend finde und meine Studierenden mochte. Die englische Grammatik beherrscht man dann nach 30 Jahren Praxis einigermassen, darum war es interessant, mit neuen Klassen immer wieder neue literarische Werke lesen zu können.

Vor 15 Jahren lancierten der damalige Prorektor Peter Stähli und ich zusammen den zweisprachigen Immersionsunterricht, der die KME noch attraktiver machte als bisher. Leider besetzt Englisch heute an der KME nicht die Position, die es als moderne Welt-, Wissenschafts- und Wirtschaftssprache und als praktische Vorbereitung für alle Universitätsstudien hat.

Neben dem Unterricht genoss ich auch die spannenden Kultur- und Maturreisen und, als meine Lieblingsbeschäftigung, die Kulmination allen Unterrichts – die Betreuung von Maturarbeiten als sinnvollste praktische Vorbereitung auf ein Hochschulstudium.

Das schulische Umfeld, Entwicklungen, Digitalisierung, etc. Wo liegen die «Chancen und Risiken»?

Die Bildungslandschaft – und darin auch die KME – hat sich natürlich wahnsinnig stark verändert. Eine gewisse Infantilisierung der Welt hat natürlich auch in der KME Einzug gehalten. «Simsen» und während des Unterrichts private Videos zu konsumieren gehört zum Alltag, nur haben die meisten Lehrpersonen das noch nicht «geschnallt» und haben offenbar immer noch ein Problem damit.

In der Digitalisierung stecken wir mittendrin; auch die KME muss sich dieser Herausforderung in einem bestimmten Mass stellen und versuchen, sie sinnvoll umzusetzen. Unsere Schule sollte aber nie und nimmer den persönlichen Direktunterricht der Sparwut und der verheissungsvollen Technik und attraktiv erscheinenden digitalen Unterrichtsformen opfern.

«In der Digitalisierung stecken wir mittendrin; auch die KME muss sich dieser Herausforderung in einem bestimmten Mass stellen und versuchen, sie sinnvoll umzusetzen.»

Was machtest du neben dem Unterricht noch für die Schule?

Vor einiger Zeit unterhielt die KME ein Austauschprojekt mit einem Gymnasium in Shanghai, das ich während Jahren leitete. Der Kontakt zum Projektleiter besteht nach wie vor.

Vor über 20 Jahren gründeten drei Lehrer der KME den Verein «Friends of Kisimiri KME Switzerland» mit dem Ziel, die Infrastruktur für einen Schulcampus in Tansania zu finanzieren. Ich arbeite im Vorstand mit und es erfüllt mich mit Stolz, mitgeholfen zu haben, dass der Verein inzwischen mehr als eine Million Franken gesammelt und nach Kisimiri überwiesen hat.

Dein Interesse für englischsprachige Literatur weltweit, deine Reisen, dein Lieblingsschriftsteller, deine Lieblingsschriftsteller(in)?

Endlich habe ich genug Zeit, stundenlang Bücher zu lesen und mir nicht jede Viertelstunde dazu von der Schularbeit stehlen zu müssen! Ich hoffe auch, dass zu den bisher 41 von mir bereisten Ländern noch einige neue dazukommen. Georgien, Indonesien und die Südsee stehen zuoberst auf der Liste und zwischendurch wieder einmal nach London, denn «When a man is tired of London, he is tired of life» (Samuel Johnson).

Mein Lieblingsschriftsteller ist seit langem der Engländer Ian McEwan. Auch sein letztes Werk «Kindeswohl» ist einmal mehr ein Meisterwerk. Er hat übrigens auch selber das Drehbuch zur äusserst sehenswerten Verfilmung geschrieben. Meine Lieblingsschriftstellerin ist klar die Inderin Arundhati Roy und ihr Roman «Der Gott der kleinen Dinge», das beste Buch, das ich bis jetzt in meinem Leben gelesen habe. Auf einer langen Reise durch Indien habe ich alle darin beschriebenen Schauplätze und zuletzt als Abrundung die Autorin selbst besucht.

Wie lebst du jetzt als Pensionierter?

Kaum zu glauben – aber wahr: PkZ («pensioniert – keine Zeit») hat mich eingeholt! Zurzeit amtiere ich immer noch als Schulkommissionspräsident der Kantonsschule Zürcher Unterland. Im Herbst 2018 ziehe ich für zwei Monate für ein Arbeitsmandat an ein College nach Shanghai, ich bereite mich für eine Teilzeitstelle als zukünftiger VIP-Chauffeur und Reiseleiter vor, betätige mich als Allrounder-Handyman für Privatkunden («Kleinere Arbeiten im und um Ihr Haus») und führe mit grossem Vergnügen meine zweijährige Enkeltochter ins hektische Leben des 21. Jahrhunderts ein.

Daneben treibe ich Sport, lese querbeet tagsüber und nachts «unputdownable» Bücher. Ich geniesse das Privileg, einfach nur Musse zu haben und mache – vor allem und als Motto – nur noch das, was ich wirklich will.

«Kaum zu glauben – aber wahr: PkZ (‹pensioniert – keine Zeit›) hat mich eingeholt!»

Text: Marianne Ernst
Bilder: Roberto Huber & Urs Stähli