«Der Mensch will lernen, dazugehören, leuchten.»
Studium und Lehrberuf
Als ich 1971 die Matur machte, herrschte so grosser Lehrermangel, dass sogar MaturandInnen als Lehrpersonen arbeiten konnten. Ich schnupperte in vielen Berufen und konnte als Stellvertreterin drei Wochen an einer Sekundarschule unterrichten – eine gute Erfahrung, doch ich hatte damals im Sinn, Germanistik zu studieren.
Erst an der Universität merkte ich, dass das Seklehrerstudium viel besser zu mir passte, wollte ich doch möglichst schnell ins Leben hinein. Ich wollte selbständig werden, viele verschiedene Fächer studieren und daneben noch Zeit haben für spannende neue Felder wie Kybernetik und Philosophie. Dies war damals mit dem breit angelegten Studium für SekundarlehrerInnen möglich.
Als ich dann aber als erste Frau an einer Sekundarschule im Kanton Thurgau arbeitete, machte ich eine bittere Erfahrung. Mein universitäres Wissen war hier nicht gefragt und im Schulzimmer liess die Macht der dominierenden Männer nicht mal eine U-Sitzordnung zu, nur die wohlbekannten frontalen Bankreihen. Ernüchtert ging ich nach einem Jahr Schulpraxis in die USA als assistant teacher, um dann Anglistik zu studieren. Englisch war mir mit den Jahren durch Freunde aus Irland und den USA zur Herzensangelegenheit geworden.
«Ich wollte selbständig werden, viele verschiedene Fächer studieren und daneben noch Zeit haben für spannende neue Felder wie Kybernetik und Philosophie.»
Dieses Studium und die Lizentiatsarbeit begeisterten mich. Bei Professor Max Nänny schrieb ich meine Lizarbeit über W. H. Audens poetry vor und nach seiner Konvertierung zum Katholizismus, unter Anwendung linguistischer Kriterien nach Roman Jakobson. Mit Professor Nänny konnte man auf Augenhöhe diskutieren und sich mit eigenen Ideen einbringen, so war dies eine tolle Erfahrung.
Da ich in diesem zweiten Studium nach etwas ganz Neuem suchte, belegte ich im zweiten Nebenfach Chinesisch. Mich interessierte die ganz andere Denkart des Taoismus (Lao Tse) und hinzu kam, dass die Dozentin, Frau Shang, auf Englisch unterrichtete. Auch das Schreibenlernen der chinesischen Zeichen eröffnete mir eine wunderbare Welt, so dass ich vor einigen Jahren einen Traum wahr machen konnte: Ich durfte bei meiner ehemaligen Schreiblehrerin in die chinesische Kalligraphie hineinschnuppern – sie unterrichtet noch immer am Ostasiatischen Institut in Zürich.
KME
An die KME kam ich durch eine Freundin, die hier Mathematik unterrichtete, und ich blieb 35 Jahre lang. Daneben war ich 17 Jahre auch in Küsnacht tätig. Die gleiche Freundin sagte eines Tages zu mir, ich müsse unbedingt in den Kurs des Lehrerberaters, es sei sein letzter, er werde danach aufhören und sich weltweit als Berater engagieren. So lernte ich 1985 Werner Zbinden kennen… den wichtigsten Freund, Partner, Seelenverwandten in meinem Leben. Wenn wir zusammen nach der Sitzung das Teegeschirr spülten, träumte ich von einem Haushalt, wo wir beide jeden Tag abwaschen dürften zusammen. Dies brauchte noch zwei Scheidungen und viele verschlungene Wege.
Durch Werner war mir die Kultur des Feedbacks von Seiten der Studierenden schon früh ein grosses Anliegen. Auch wollte ich Wege finden, den Unterricht mit fotolangage, Markt statt Vorträgen usw. zu öffnen auf eine persönlichere und lebendigere Ebene hin. Leider war dies später mit dem Schwinden der Stundenzahlen kaum mehr möglich.
Ich bedauerte sehr, in den letzten Jahren in allen Kursen nur noch Grammatik einigermassen «palatable» (engl. mundgerecht) verkaufen zu müssen, zu üben und zu testen. Mit dem Wegfallen der Aufsätze, wo man noch längere Zeit über ein Thema nachdenken könnte, ist für mich der letzte Schimmer einer tiefgründigen humanistischen Bildung erloschen. Wobei sicherlich die weltweite Vernetzung ein Gegengewicht setzt, wenn sie klug genutzt wird. Dies und viele andere Dinge habe ich von «meinen Studis» gelernt.
«Dies und viele andere Dinge habe ich von ‹meinen Studis› gelernt.»
Anderes
Der Umgang mit Menschen wurde mir nicht in die Wiege gelegt. So zog mich ein Psychologiestudium zwar an, doch ich merkte schnell, dass die Praxis der Psychologie für mich im Schulalltag leichter zu erlernen war als in den theoretischen Uni-Vorlesungen. Ich gab mir 10 Jahre für die Psychologie in der Schule, doch bald machte ich berufsbegleitend, d.h. in den Ferien und an Samstagen, eine praxisorientierte 3-jährige «Lehre» in humanistischer Psychologie (Gestalttherapie und Transaktionsanalyse), die mich beflügelte und mein Menschenbild bestärkte: Der Mensch will lernen, dazugehören, leuchten.
Eine zweite 3-jährige Weiterbildung vermittelte mir Einblick in die Gruppendynamik und gab mir Instrumente, um das Miteinander in Teams und Organisationen zu stärken. Schliesslich dachte ich mit Blick auf meine schwindenden KME-Stunden an einen weiteren Beruf als Supervisorin und machte dafür die dritte 3-jährige BSO-kompatible Ausbildung in Deutschland. So konnte ich als Supervisorin viele KITA-Frauen in ihrer Lehre begleiten und junge Lehrerinnen beraten, dann auch an der Volkshochschule Englisch unterrichten, ohne Noten und trotzdem mit gutem Erfolg.
Neben der Schule war und ist das Literaturstudium in Psychologie und Interpersonaler Psychologie ein wichtiger Teil meines ganzen Lebens. Aber noch wichtiger waren die Sommerferien, wo ich mir jeweils 2-3 Tage nur für mich Zeit nahm und mit einem neuen Batik- oder Seidengemälde heimkam aus dem Tessin, meiner Zuflucht, im Häuschen, das meine Eltern aus zwei Rustici gebaut hatten mit dem Olivenbaum und Blick auf den Lago Maggiore. Nach einer gelungenen Augenoperation mit 40 lernte ich segeln… ein grosser Traum, fuhr wieder Auto.
Tanzte nicht mehr allein, sondern mit Werner, war zweite Mama für drei feine Kinder, spielte ab und zu meine Querflöte. Sang im Chor meines ehemaligen Mannes fürs Weihnachtskonzert Bach, ein grosser Trost in schwierigen Zeiten. Schrieb Gedichte und Prosa. In der schwersten Zeit meines Lebens, als mein Liebster erkrankte, hielt ich mich mit Schreiben und dem Lesen in einem einzigen Buch über Wasser: Jon Kabat-Zinns Buch über das Meditieren, wo er Thoreaus Einsiedler-Zeit am Walden Pond erwähnt, den ich gut kenne aus meiner Zeit in den USA.
«Wherever You Go There You Are»
(Jon Kabat-Zinn)
Tai Chi und die taoistische Philosophie, die ich zusammen mit Werner pflegen konnte, haben mir dazu, seit ich 20 bin, einen federnden Boden gegeben, Resilienz, das Nähren und Pflegen von Vertrauen im Ungewissen.
…und immer wieder in die Ferne reisen, andere Kulturen erspüren, das war für uns beide wie ein Jungbrunnen. Für mich vom Schönsten: Dazwischen ausruhen und sich sammeln im Tessin mit unseren Nachbars-«Büsis».
Mit den Kindern spielen, Bäche stauen, Rosenkäfer entdecken und Segelknoten lernen, kochen und geniessen, wie eine Familie leben, trösten und lachen und Werners Gute-Nacht-Geschichten lauschen, in denen die Kinder die Hauptrolle spielten: vom Löckerli, das nach Afrika wollte und sich in ein Schiff verliebte – wenn wir gerade eine Schifffahrt gemacht hatten.
Zukunft
Für die nächste Zeit habe ich einen bereits in Verwirklichung begriffenen Plan: Ich übe mich im Meditieren, bilde mich zum MBSR-Coach aus (MBSR = Mindful Based Stress Reduction) und freue mich auf eine Tätigkeit, bei der wieder mein ganzes humanistisches Menschenbild Platz hat. Denn in meinem Universum gilt:
«The Brain is wider than the Sky…»
(Emily Dickinson)
Gleichzeitig bin ich jeden Tag bei meinem Liebsten auf Besuch, helfe ihm beim Abendessen und lerne vom Team und von ihm etwas ganz Neues im konkreten Handeln:
«On ne voit bien qu’avec le cœur…»
(Antoine de Saint Exupéry)