Porträt G2a-Klasse

Ihre Première war zugleich eine Dernière

Von Thomas Fähndrich

Man merkt ihnen an, dass sie in die Schule zurückkehren und nicht einfach von einem Schulhaus in ein anderes gewechselt haben, den Studierenden, die in eine G1-Klasse eintreten. Ein Gymnasium für Erwachsene zu besuchen ist ein sehr bewusster Entscheid, drei Jahre liegen vor ihnen, bis sie das Maturzeugnis entgegennehmen können.

In diesem Schuljahr haben wir die letzte G1-Klasse aufgenommen. Ab nächstem Schuljahr wird die KME das Einstiegsjahr neu gestalten. Dies soll Anlass sein, die letzten Studierenden dieses Studiengangs kennenzulernen.

Wieso sind sie hierhergekommen, wie sind sie auf die KME aufmerksam geworden?

Ya. hat eine Weltreise unternommen, um über seine berufliche Zukunft nachzudenken. Als er zurückkehrte, war er nicht weiter. Eine Motorradtour mit seinem Vater brachte Klarheit.

Dieser hatte seinerzeit die KME besucht. Seine Erzählungen wurden für Ya. zum Wegweiser Richtung KME.

Ma. hatte in London von der KME erfahren. Beim Besuch einer Ausstellung zum 1. Weltkrieg im Imperial War Museum schlug sein Interesse für Geschichte voll durch und er erzählte seinen Kameraden, dass er eigentlich gerne Geschichte studieren würde. Seine Kumpel wussten von der KME und damit begann sich für Ma. ein Weg hin zu seinem Wunschstudium abzuzeichnen.

Se. hatte schon als Kind gerne mit Holz gearbeitet und machte deshalb eine Lehre als Schreiner. Bereits während der Lehre wurde ihm klar, dass die Faszination für das Material und das Handwerk wohl nicht für das ganze Arbeitsleben trägt. Er hat viele Wege an die Uni erwogen, z.B. die BMS und daran anschliessend die Passerelle. Ein Kollege machte ihn auf die KME aufmerksam. Der Rest ist schnell erzählt. Der drei Jahre dauernde Ausbildungsgang zur eidgenössischen Maturität überzeugte ihn.

A. war Chemielaborant an einem Gymnasium. Er dachte eine Zeit lang, dass er den perfekten Job habe. Eine stressfreie Arbeit beim Kanton, ein gutes Arbeitsumfeld mit vielen Freiheiten. Dazu kamen 13 Wochen Ferien, welche es ihm ermöglichten, dreimal im Jahr zu verreisen.

Alles schien perfekt. Doch irgendwann fand er keine Erfüllung mehr in seiner Tätigkeit, trotz der perfekten Rahmenbedingungen. Dieses Gefühl wurde stärker. Beim Berufsberater erfuhr er von der KME.

«Ich wollte schon immer gerne einmal Geschichte studieren.»

An. war bei ihrer besten Freundin zum Brunch eingeladen. Die Mutter ihrer Freundin hatte immer wieder von der Maturitätsschule geschwärmt, die sie als junge Erwachsene besucht hatte. Dieses Mal nahm sich An. vor, die Website anzuschauen.

Das Konzept der Schule gefiel ihr sofort und noch am selben Tag meldete sie sich für eine Informationsveranstaltung an und danach für einen Vorbereitungskurs in Mathematik – der Rest ist Geschichte.

Jo. wollte eigentlich schon immer ein Gymnasium besuchen. Ihm, dem Perfektionisten, fiel es aber schwer, Prüfungen zu schreiben, da er stets eine Sechs anstrebte. Bis zum Ende der Sekundarschule konnte er sich trotzdem irgendwie durchkämpfen. Als das Ende der Schulzeit nahte, spürte er von allen Seiten den Druck, eine Lehrstelle zu finden. Schliesslich absolvierte er im Nachbardorf eine Lehre als Multimediaelektroniker. Die Ausbildung wäre genau seine Sache gewesen, wären da nicht das Prüfungsproblem und ein schwieriger Chef gewesen. 2 Jahre und jede Menge ungenügende Noten später wurde der Lehrvertrag aufgelöst. Nach wie vor hatte Jo. das Ziel zu studieren. So ist er auf die KME aufmerksam geworden, da er dort auch ohne abgeschlossene Lehre zur Matura gelangen kann.

Ja. hatte nach der Sekundarschule die Nase voll von der Schule. Er entschied sich für eine Schreinerlehre. Dort hat er handwerklich viel gelernt. Oft konnte er jedoch nicht wirklich mit seinen Freunden mitreden, welche ein Studium begonnen hatten. Auch wurde ihm bewusst, wie viele Möglichkeiten das staatliche Bildungssystem in der Schweiz bietet. Oft erinnerte er an seine Schulzeit zurück, während er Werkzeug und Material auf der Baustelle verteilte. Wenn er an die Zukunft dachte und sich vorstellte, ein Handwerker mit Haus und Familie zu sein, bekam er Angst. Sein Wissensdurst wurde grösser und er las viele Bücher. Das Gymnasium wäre für ihn bereits nach der 6. Klasse eine Möglichkeit gewesen.

Doch damals traute er sich nicht wirklich. Dies änderte sich jetzt. Er zog die 3-jährige KME der BMS vor, weil für die meisten seiner Wunschberufe ein Studium an der Uni oder der ETH erforderlich ist. Ihm gefiel der Gedanke, wieder 3 Jahre in einer Schulklasse zu verbringen und viele spannende Menschen kennenzulernen, welche ganz unterschiedliche Hintergründe haben. Dass er durch die Zweitausbildung erst später wieder in die Arbeitswelt eintreten wird, macht ihm keine Angst. Ob er später 40 oder nur 30 Jahre auf seinem Beruf arbeiten wird, ist ihm egal, denn er empfindet beides als zu lange.

Vi. war ein interessierter Schüler und schlug sich gegen Ende der obligatorischen Schulzeit mit der Berufswahl herum. Die Tests des BIZ zeigten kein klares Bild, attestierten ihm aber ein Interesse am Besuch weiterführender Schulen. Da sich Vi. auf keinen Fall zutraute, eine weiterführende Schule zu absolvieren, trat er eine KV-Lehre an, die ihm zweckdienlich, aber uninteressant erschien. Schnell wird ihm klar, dass er diesen Berufsweg nicht Jahrzehnte verfolgen will. So fiel er hinter seine Mitschüler zurück, die sich eine glanzvolle Zukunft in der Branche erhofften. Nachdem er seinen Lehrabschluss mit Ach und Krach geschafft hatte, wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, an den Besuch einer weiterführenden Schule zu denken.

Glücklicherweise wurde er hie und da gestupst, dass ein Uni-Studium etwas für ihn sein könnte. Dies führte langsam, aber stetig zur Zuversicht, er könnte möglicherweise doch aus dem richtigen Holz geschnitzt sein. So erschien die KME auf seinem Radar. Er meldete sich für die Vorbereitungskurse an. Diese nutzte er als Testphase, um festzustellen, ob er sich nicht doch von Leuten, die ihn überschätzen, habe blenden lassen. Wie sich herausstellte, ist «zumindest ein gewisses Potenzial» vorhanden. Er ist ja jetzt schliesslich im zweiten Semester.

Nun sitzen sie wieder in den Schulbänken. Wie fühlt sich das an? Ist es die alte Leier?

Ya. kommt fast ins Schwärmen. Die Stimmung, die in den Klassen der KME herrscht, ist nicht zu vergleichen mit der Sekundarschule oder der Berufsschule. Die Lernbegeisterung ist unglaublich. Die Themen und Lernstoffe, mit denen er konfrontiert wird, tun ihm sehr gut.

Er lernt mit Freude und grosser Offenheit gegenüber der Materie. Etwas Sorgen bereitet ihm, dass seine zukünftige Studienrichtung noch nicht klar ist. Dafür ist er zu unentschlossen.

Für Se. ist das erste Semester und damit ein Sechstel der Ausbildung schnell vorbeigegangen. Er hat Zeit gebraucht, um sich wieder in der Schulbank zurechtzufinden. Nach sechs Jahren Lehre und Arbeitswelt waren stundenlanges Zuhören, Sitzen und Vokabeln lernen nicht immer einfach. Er merkte, dass er sich eine neue Lernstrategie zulegen musste, da aufmerksames Zuhören nicht reicht, um gute Resultate zu erzielen.

Jo. geht im Gegensatz zu früher wieder gerne zur Schule. Natürlich gibt es nach wie vor Situationen, die ihm weniger gefallen. Aber bei der Vielfalt der Fächer kann einem nicht alles liegen.

Jo. hat am Morgen nicht mehr das Gefühl, dass ihn die tägliche Routine auffrisst. Er weiss, dass es keinen Vorgesetzten im klassischen Sinn gibt, der ihm vorschreibt, wie er etwas zu machen hat. Genau das ist der Unterschied zu seiner bisherigen Schul- und Arbeitskarriere. In der obligatorischen Schulzeit musste die Lehrperson die pubertierenden Jugendlichen irgendwie durch die Schule führen, bringen, stossen. Das ist an der KME nicht mehr der Fall. Das heisst aber nicht, dass die Lehrpersonen damit aus dem Schneider sind.

Schüler widersprechen schon mal dem Lehrer oder stellen kritische Fragen und lassen sich nicht alles gefallen. Diese Begegnung auf Augenhöhe ist für ihn sehr wichtig und trägt wesentlich zu einer positiven Lernerfahrung bei. Natürlich ist Schule nicht immer spannend. Jo. hat sich entschieden, alles auf sich zukommen zu lassen und auch Themen anzugehen, die weniger interessant erscheinen. Er schätzt, dass man im ersten Semester grundlegende Lücken schliessen kann. Es wird niemand einfach ins eiskalte Wasser geworfen.

«Die Motivation der Schüler ist sehr hoch und dies wirkt sich positiv auf Klassenkameraden und Lehrer aus.»

Ma. stellt fest, dass sich die KME auf den ersten Blick nicht von anderen Schulen unterscheidet, die Zimmer sind ähnlich eingerichtet wie in anderen Schulen, das Mensaessen ist ähnlich, die Lektionen laufen ähnlich ab und die Lehrer stehen immer noch gleich vor der Wandtafel. Trotzdem ist es nicht die alte Leier. Die Stimmung an der KME ist eine ganz andere. Das liegt daran, dass hier fast jeder aus eigener Entscheidung die Schule besucht und genau weiss, welches Ziel er hat.

Die Motivation der Schüler ist sehr hoch und dies wirkt sich positiv auf Klassenkameraden und Lehrer aus. Weil deshalb die Mitschüler meist bei der Sache sind, will man sein Bestes geben. So machen die Lektionen mehr Freude, weil es zu spannenden Diskussionen kommt, welche den Unterricht bereichern. Es ist also definitiv nicht die alte Leier.

Bei An. spukte der Gedanke «Was ist, wenn es genau so wird wie früher?» regelmässig in ihrem Kopf herum. Denn Schule mochte sie nie so wirklich. Bei zu vielen ihrer ehemaligen Lehrpersonen hatte sie das Gefühl, sie holten die immer gleichen Unterlagen und Präsentationen hervor, wie sie es seit 15 Jahren taten und sagten die gleichen Dinge, die sie immer sagten. Der Unterricht war ihr häufig zu trocken, zu monoton, einfach zu langweilig.

Sie streitet nicht ab, dass es auch jetzt noch Tage gibt, an denen sie aufwacht und nicht die geringste Lust verspürt, zur Schule zu gehen, doch das liegt mittlerweile hauptsächlich daran, dass sie zu spät ins Bett gegangen ist und nicht daran, dass sie sich vor verstaubtem, trägem Unterricht fürchten muss. Das erste Semester ist schnell vergangen. Es war eine anstrengende, äusserst lehrreiche Zeit. Häufig wusste sie nicht, wo ihr der Kopf stand, als sie versuchte Schule, Arbeit, private Verpflichtungen, Freizeit und Lernen unter einen Hut zu bringen. Doch nun, nach 6 Monaten, hat sie das Gefühl, Ordnung in ihr Chaos gebracht zu haben. Sie freut sich auf das kommende Semester mit allen Herausforderungen und neuen Erfahrungen.

Für Ja. fühlt sich Schule nicht so an, wie er sie in Erinnerung hatte. Früher war es für ihn ein Zwang gewesen, zur Schule zu gehen. Er schaute andauernd auf die Uhr und langweilte sich. Da er die Arbeitswelt schon etwas kennt, sieht er die Schule mit anderen Augen. Das Klima an der KME empfindet er als sehr gut. Seine Klasse besteht aus netten Leuten mit verschiedenen Werdegängen und Weltsichten.

Er musste sich zuerst daran gewöhnen, dass man sich hier die Zeit nimmt, um zu diskutieren, Fragen zu beantworten und auf die Schüler einzugehen. In der Arbeitswelt lautete das Motto: Zeit ist Geld. Man beschränkte sich im Gespräch auf das wirklich Nötige und alles muss effizient und gewinnbringend produziert werden. Jede Minute musste erfasst und verrechnet werden. Den Schulalltag empfindet er selbst zu Prüfungszeiten als stressfreier. Denn wenn er eine Prüfung in den Sand setzt, ist er der Einzige, der sich ärgert.

«Es ist wirklich ein Glück, dass wir im Kanton Zürich einen solchen Bildungsgang kostenlos in Anspruch nehmen können.»

A. hat sich ein wenig davor gefürchtet, wieder die Schulbank zu drücken, er hatte Angst, dass er mit 32 bereits zu alt sei, zu bequem und nicht in der Lage, Neues zu lernen. Ausserdem ist Algebra doch so schwer und Französisch war ja noch nie was für ihn. Doch schliesslich fand er sich schnell in der Schule zurecht. Er ist mit der Entscheidung, die KME zu absolvieren, zufrieden.

Er lernt neue Sprachen, bekommt Privatstunden auf der Gitarre und kann sein Allgemeinwissen auf abwechslungsreiche Art und Weise vertiefen. Es ist zwar auch Arbeit, jedoch entwickelt diese stetig einen selbst. Es ist wirklich ein Glück, dass wir im Kanton Zürich einen solchen Bildungsgang kostenlos in Anspruch nehmen können.

Text: Thomas Fähndrich, Klasse G2a
Bilder: Roberto Huber